Gefahr für bereits abgeschlossene Sanierungen: BFH kippt die Anwendung des Sanierungserlasses auf Altfälle

25. Oktober 2017

Berlin/Frankfurt a.M., 25. Oktober 2017
In zwei heute veröffentlichten Entscheidungen vom 23. August 2017 (I R 52/14 und Y R 38/15) hat der Bundesfinanzhof entschieden, dass der sog. Sanierungserlasses des Finanzministeriums, durch den Sanierungsgewinne steuerlich begünstigt werden sollen, für die Vergangenheit (Forderungsverzichte vor dem 8. Februar 2017) nicht angewendet werden darf. Ob das neue Gesetz, das diesen Missstand für neue Fälle beheben sollte, in Kraft treten wird, ist immer noch zweifelhaft.

Hintergrund

Bis zum 8. Februar 2017 konnten die Finanzämter auf der Grundlage des Sanierungserlasses des Bundesfinanzministeriums die finanzielle Restrukturierung insolventer Unternehmen erleichtern. Der durch den Forderungsverzicht von Gläubigern entstehende Sanierungsgewinn konnte durch die Finanzämter auf Antrag unversteuert bleiben. Mit einer am 8. Februar 2017 veröffentlichten Entscheidung verwarf der Bundesfinanzhof den Sanierungserlass, weil er gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung verstößt: steuerliche Regelungen müssten per Gesetz vom Bundestag beschlossen werden, nicht aber von der Finanzverwaltung.

Die Entscheidung führte zu erheblicher Unsicherheit bei Sanierungsvorhaben. Die Anreize, die der Gesetzgeber durch das sogenannte „ESUG“ (Gesetz zur Erleichterung der Sanierung von Unternehmen) schaffen wollte, wurden konterkariert. Der Gesetzgeber schuf daher mit § 3a EStG und § 7b GewStG relativ zügig eine gesetzliche Steuerbefreiung für Sanierungsgewinne, stellte das Gesetz aber unter den Vorbehalt, dass die EU dies nicht als verbotene Beihilfe einstuft. Eine Entscheidung der EU steht bis heute aus und es ist fraglich, ob sie im Sinne der Bundesregierung ergehen wird.

Diese neuen Vorschriften finden jedoch auf Altfälle keine Anwendung. Das Bundesfinanzministerium regelte die Altfälle daher mit einer Anweisung an die Finanzämter: Der Sanierungserlass sollte zumindest noch rückwirkend bis zum 8. Februar 2017 gelten. Diese Anweisung hat der Bundesfinanzhof nun für rechtswidrig erklärt. Sie verstoße in gleicher Weise gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung wie der Sanierungserlass selbst. Nur der Bundestag als Gesetzgeber hätte diese Regelung treffen können.

Folgen für die Praxis

Die neue Entscheidung des Bundesfinanzhofs hat erhebliche Auswirkungen für Unternehmen, bei denen vor dem 8. Februar 2017 ein Forderungsverzicht von Gläubigern wirksam wurde. Es gibt keine gesetzliche Grundlage, auf deren Basis der Sanierungsgewinn steuerfrei gestellt werden kann. Auch auf das nun ebenfalls vom Bundesfinanzhof kassierte BMF-Schreiben kann keine Steuerbefreiung mehr gestützt werden. Möglich bleibt damit nur noch die Berufung auf einen individuellen, besonderen Härtefall oder auf persönliche Billigkeitsgründe nach den allgemeinen steuerlichen Erlassvorschriften. Vorhersehbar sind die Entscheidungen der Finanzämter daher nicht mehr. In jedem Fall werden die Finanzämter mehr Prüfungsaufwand betreiben, um zu entscheiden, ob im Einzelfall ein Erlass gerechtfertigt ist.

Alle Unternehmen, die eine außergerichtliche Sanierung durchlaufen haben, bei dem Gläubiger auf Forderungen verzichtet haben und die nicht über unanfechtbare Steuerbescheide verfügen, müssen Steuerbelastungen umgehend als Rückstellung in die Bilanz aufnehmen. Selbst Unternehmen, die ein Insolvenzverfahren erfolgreich mit einem Insolvenzplan abgeschlossen haben, sind aktuell betroffen, da die Steuerlast aus dem „Haircut“ eine Verbindlichkeit ist, die auch nach Abschluss des Insolvenzverfahrens noch eine Zahlungspflicht auslöst.

Die neue Entscheidung des BFH gefährdet daher jede Sanierung und jeden Insolvenzplan, ob in Vergangenheit durchgeführt oder gegenwärtig geplant.

Wichtig in dieser Situation ist, dass die vorliegenden Bescheide oder Steuersachverhalte genau analysiert werden, um dann zu entscheiden, wie weiter vorgegangen werden muss. Das könnte in einigen Fällen bedeuten, dass diese Unternehmen, obwohl auf dem Papier saniert, sich einem erneuten Insolvenzverfahren unterziehen müssen. Eine Steuerlast ließe sich z.B. dann vermeiden, wenn der Betrieb in einem Insolvenzverfahren auf einen neuen Rechtsträger übertragen wird, da dann keine Steuerlast zu erwarten ist. Unternehmen und Organe, die sich diesen Herausforderungen nicht stellen, verletzen ihre Pflichten, machen sich möglicherweise strafbar und setzen sich großen zivilrechtlichen Haftungsrisiken aus.

Ansprechpartner

Dr. Georg Bernsau Dr. Oliver Damerius
Zeilweg 42 Meinekestraße 27
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Tel.: +49 69 963761-130 Tel.: +49 30 2007577-0

 

Über BBL

BBL ist spezialisiert auf die Überwindung von Unternehmenskrisen sowohl im Rahmen gerichtlicher wie außergerichtlicher Lösungen. Die Kanzlei erstellt Sanierungs- und Restrukturierungskonzepte und setzt diese um. Hierzu gehören auch die Begleitung von krisenbezogenen M&A-Transaktionen und Carve-outs sowie die Betreuung von distressed Investments in nationalem wie internationalem Kontext. Durch zahlreiche grenzüberschreitende Fälle verfügt BBL über einen starken internationalen Bezug. Rund 50 Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte arbeiten an 11 Standorten bundesweit und in London.
Weitere Informationen: www.bbl-law.de

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