Frankfurt, den 28.02.2018
Das Bundesarbeitsgericht entschied am 22.02.2018 – Az. 6 AZR 868/16 – über den Charakter der Ansprüche gekündigter Arbeitnehmer auf Annahmeverzugsvergütung bei einem masseunzulänglichen Insolvenzverfahren und bürdet damit dem Insolvenzverwalter ein hohes Haftungsrisiko auf:
Im Ausgangssachverhalt hatte der Insolvenzschuldner das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin noch vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens gekündigt. Der Insolvenzverwalter wiederholte dies mit Eröffnung des Verfahrens (Ende März) sowie einige Monate später (Ende August), kündigte jeweils erneut und stellte die Klägerin frei. Die Klägerin griff alle Kündigungen mit einer Kündigungsschutzklage an.
Wenige Tage nach Ausspruch der 2. Kündigung durch den Insolvenzverwalter zeigte dieser am 31.08.2012 die drohende Masseunzulänglichkeit im Verfahren an.
Die Klägerin betrieb die Kündigungsschutzverfahren weiter und obsiegte: in allen Fällen wurde (erstinstanzlich) entschieden, dass die Kündigungen unwirksam seien, der beklagte Insolvenzverwalter legte kein Rechtsmittel ein, bzw. nahm diese zurück. Der Insolvenzverwalter kündigte erst im Mai des Folgejahres erneut vorsorglich und einigte sich später vergleichsweise mit der Klägerin auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum Ende des Monats August 2013.
Die Klägerin verlangte sodann Zahlung der zwischenzeitlich fällig gewordenen Löhne als Annahmeverzugslöhne für einen Zeitraum nach Anzeige der drohenden Masseunzulänglichkeit bis einschließlich August 2013 und reichte Zahlungsklage über insgesamt 21.444,80 Euro ein.
Auch insoweit war die Klägerin erfolgreich. Das Bundesarbeitsgericht hat die Argumente des Insolvenzverwalters nicht gelten lassen. Dieser hatte die Auffassung vertreten, er sei während der schwebenden Kündigungsschutzprozesse nicht zu einer prophylaktischen Nachkündigung verpflichtet, außer, die frühere Kündigung sei evident unwirksam. Davon könne man aber im vorliegenden Fall nicht ausgehen, denn dort war die Kündigung daran gescheitert, dass die Massenentlassungsanzeige nach § 17 KSchG unwirksam gewesen sei, weil hierzu der Gesamtbetriebsrat angehört worden war, der aber seinerseits nicht wirksam gebildet worden war. Außerdem habe er aufgrund der Freistellung keinerlei Arbeitsleistung für die Masse erhalten.
Das Bundesarbeitsgericht hat jedoch – wie die Vorinstanzen – entschieden, dass die Ansprüche der Klägerin in voller Höhe als sog. Neumasseverbindlichkeiten im Sinne des § 209 Abs.1 Nr.2 InsO zu befriedigen sind. Der beklagte Insolvenzverwalter sei für die Begründung der Verbindlichkeiten verantwortlich, denn er habe den in § 209 Abs.2 Nr. 2 InsO vorgesehenen Termin, nämlich die erste Kündigungsmöglichkeit nach Anzeige der drohenden Masseunzulänglichkeit ungenutzt verstreichen lassen und nicht nachgekündigt. Allein auf diesen objektiven Umstand komme es an. Er könne zwar auch an früheren Kündigungen festhalten, aber trage dann das Risiko, dass diese unwirksam sind und er die zwischenzeitlich aufgelaufenen Löhne, sog. Annahmeverzugslöhne, als Neumasseverbindlichkeiten befriedigen muss. Dies gelte im Übrigen auch, wenn der Insolvenzverwalter den Kündigungstermin nach § 209 InsO Abs.2 Nr.2 InsO einhalte, sich dann aber nachträglich herausstelle, dass auch diese Kündigung unwirksam ist.
- In der Konsequenz ist dem vor einem Personalabbau in einem deutschen Betrieb stehenden Insolvenzverwalter daher zunächst anzuraten, in jedem Fall den Kündigungstermin des § 209 Abs.2 Nr. 2 InsO – d.h. die erste Kündigungsmöglichkeit nach Anzeige einer (drohenden) Masseunzulänglichkeit – zu wahren und die Arbeitsverhältnisse vorsorglich erneut zu kündigen, wenn sich Arbeitnehmer gegen frühere Kündigungen mit einer Kündigungsschutzklage zur Wehr setzen.
- Darüber hinaus macht die Entscheidung einmal mehr deutlich, dass auf dem Weg zu einer Betriebsstillegung in Deutschland unzählige arbeitsrechtliche „Fallstricke“ zu überwinden sind, denn im entschiedenen Fall dürfte die Unwirksamkeit der Massenentlassungsanzeige tatsächlich nicht offensichtlich gewesen sein, sondern eher den Charakter eines „versteckten Mangels“ gehabt haben.
Das macht eine äußerst sorgfältige Vorbereitung des Personalabbaus durch versierte Arbeitsrechtler unumgänglich und gilt erst Recht für ausländische Insolvenzverwalter, die bei der Betriebsstillegung gezwungen sind, deutsches Arbeitsrecht zu beachten und anzuwenden.
Die hinter der Problematik stehende Frage, inwieweit der Insolvenzverwalter dann ggfs. auch persönlich nach § 61 InsO haftet, wenn er die so begründeten Neumasseverbindlichkeiten nicht befriedigen kann, ist noch nicht abschließend geklärt. In einem ähnlich gelagerten Fall – LAG München, Urt. v. 21.07.2005 – 4 Sa 243/05 – wurde dies anhand der konkreten Umstände des Einzelfalles verneint. Eine sichere Aussage kann hierzu derzeit nicht getroffen werden.
Diese Entscheidung kommentiert:
Dr. Simone Wernicke | |
Rechtsanwältin Fachanwältin für Arbeitsrecht |
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